29.11.05

Simplify your Mind

Wir leben in komplexen Zeiten. Alles hängt mit allem zusammen. Man kann irgendwo anfangen und kommt von da überall hin. Der moderne Netzwerk-Gedanke.

Einerseits. Andererseits scheinen alle alles immer übersichtlicher haben zu wollen. Es fing an mit Feng Shui – okay, das fing vermutlich vor über 1000 Jahren an, aber so lange ist es in der westlichen Welt noch nicht bekannt. Die durchschnittliche Feng-Shui-Beraterin / Coachin hat sich vor ca. 6 Monaten selbstständig gemacht. Also Feng Shui. Abgesehen von kauzigen Regeln, die Papierkörben, Klotüren und Springbrunnen (ein must!) feste Plätze in der Wohnung zuweisen, gibt es beim Feng Shui auch immer eine Art klärendes Element. Altdeutsch nennt man es Entrümpeln. Die Praxis, jahrzehntealte Zeitschriftensammlungen, nicht mehr funktionstüchtige Elektrogeräte und ähnliches einfach wegzuschmeißen, hat heute einen esoterischen Überbau bekommen.
Ob das nun was mit der echten Feng Shui-Tradition zu tun hat oder nicht, Entrümpeln ist ein zentrales Thema post-postmoderner Heilslehren. Es nennt sich jetzt Simplifying.

Im Grunde ist Simplifying nichts anderes als Rationalisierung und damit voll Kapitalismus-kompatibel. Unterlagen, die man nicht mehr braucht, Freunde, die nerven, alle Verpflichtungen, die Energie kosten, aber nicht einbringen werden kurzerhand wegrationalisiert. Das macht das Leben simpler. Und scheinbar weniger komplex. Nur: Was passiert mit dem ganzen Überfluss an Materie und Mensch? Finden die Dinge und Freunde, von denen wir uns trennen, ein neues Zuhause? Und was macht man, wenn man selbst Opfer der Simplifizierung wird? Fragen über Fragen.

Sie sich nicht zu stellen, ist Simplifying in Vollendung: Simplify your mind.

21.11.05

Hormonelle Pufferzone

Vor Anker gehen

Es gibt Läden, die haben einen schlimmen Ruf, werden ihm voll gerecht und sind trotzdem unschlagbar gut. Früher nannte man so was wohl verrucht. Unter Menschen, die hemmungslos auf Beutezug sind, kann sich eine offene und von jeglicher verklemmten Coolness befreite Stimmung ausbreiten.

So auch in der Ankerklause, dem Abschleppladen schlechthin. Man sieht immer wieder dieselben Gesichter, und manchmal kennt man auch den dazugehörigen Rest. Dies ist kein Ort für Empfindsamkeiten, verklemmte Trainingsjackenträger oder Musiksnobs. Es ist wie am Wasserloch in der Savanne: Leben und leben lassen. Donnerstags ist Diskotag in der Ankerklause, und ich wollte ausgehen. Nach ein paar Tänzchen und Drinks stand ich rum und beguckte mir das lustige Treiben.

Ein junger Mann verwickelte mich in ein Gespräch über Körpergröße und Partnerwahl, in dessen Verlauf deutlich wurde, dass ich in Begleitung gekommen war. "Was willst du denn hier, wenn du deinen Freund mitbringst?", tadelte er mich entrüstet. Eine, wie ich fand, sehr interessante Frage, die ich, einer spontanen Eingebung folgend, umgehend und befriedigend klären konnte. Ich war nämlich als Puffermasse da! Und somit elementar wichtig. Denn wo so viel Verlangen ungefiltert abgestrahlt und durch Hitze, Enge, Alkohol und exzessiven Tanz auf kleinstem Raum verdichtet wird, kann es ohne absorbierende Puffer leicht zur Überladung kommen. Mein Gegenüber war sofort überzeugt und reagierte denn auch äußerst charmant: Er bedankte sich bei mir für meinen selbstlosen Einsatz. Höflichkeit und Charme unter hormonellen Extrembedingungen - die Welt kann nicht durch und durch schlecht sein.