21.9.05

Der frühe Vogel

In Berlin fangen viele Partys definitiv zu spät an. Konzerte, die um drei Uhr nachts stattfinden, wenn nicht nur das Publikum, sondern auch die Band völlig hinüber ist, machen eigentlich niemandem Spaß. Eine Zeit lang gab es daher – durch amerikanische Fernsehserien inspiriert – so genannte After Work Partys, die sich aber nicht richtig durchsetzen konnten. Früh kann eben auch zu früh sein. Und vielleicht mögen Berliner ihre Partys doch zumindest ein kleines bisschen exzessiver, als es anorektische Anwältinnen im TV rüberbringen.

Ich gehe jedenfalls nicht gern sehr früh in Clubs, aber manche Leute sehen nicht ein, warum sie warten sollen, bis sie müde sind, bevor sie ausgehen. So auch meine alte Freundin und ihre neueren Freundinnen. Sie mögen es, wenn die Tanzfläche noch schön frei ist. Vollkommen ausgestorben, leer wie die Antarktis, kein Mensch in Sicht, eine große, weite Fläche, wie ein Ozean. Manche Leute animiert das zum Tanzen. Man könnte natürlich auch auf den nächsten Lidl-Parkplatz gehen, da müsste man nur bis kurz nach acht warten und hätte dann massig Platz. Zugegeben: Es gibt dort keine Musik. Aber in Zeiten von iPod oder wenigstens Discman sollte das kein unüberwindbares Problem sein.

So fuhr ich also mit meiner Freundin nach Mitte, um eine Tanzveranstaltung zu besuchen, die schon von sich aus nicht gerade zu den szenigsten Geheimtipps der Stadt zählt. Und das um 23h. Es hätte schlimmer kommen können: Ihre Freundinnen waren schon ab 21:20 vor Ort. Als meine Freundin versuchte, an einer nicht dafür freigegebenen Straßenecke zu parken, kam ein junger Polizist vorbei und erklärte uns, dass wir weiter fahren müssten. Sie fragte ihn, wo sie denn sonst parken könne, wir wollten zu besagter Veranstaltung. Das brachte uns nicht nur einen brauchbaren Parkplatzhinweis ein, sondern auch die ungläubige Frage „Was wollen Sie denn da um diese Uhrzeit?“ Wir waren früher, als die Polizei erlaubt.

Aber Leute, die wegen der freien Tanzfläche gerne früh in Clubs gehen, zahlen auch äußerst ungern Eintritt. Wenn, dann wollen sie sicher gehen, für ihr Geld genug Amüsement zu bekommen – also gehen sie möglichst früh. Und trinken eher wenig, denn sie sehen nicht ein, warum sie an der Bar mehr für ein Glas Weinschorle zahlen sollen, als sie sonst für die ganze Flasche ausgeben.

Es ist sehr schwer, diesen Argumenten zu begegnen. Weil sie nämlich das ganze Konzept des Ausgehens und des Clubs total negieren. Rein ökonomisch gesehen haben sie nämlich Recht – ein Drink im Club kostet wirklich mehr, als die ganze Flasche zuhause, es ist wirklich sinnvoller, vor sechs Uhr morgens schlafen zu gehen und somit ist es auch sinnvoller, Partys vor halb zwei Uhr nachts anfangen zu lassen. Man hat tatsächlich um halb zehn mehr Platz auf der Tanzfläche als dreieinhalb Stunden später. Ökonomisch gesehen ist es sinnvoll, sich antizyklisch zu verhalten. Meine besagten Freundinnen waren außerdem alle verheiratet und wollten außer dem DJ niemandem schöne Augen machen. Und der DJ konnte sie ja auf der menschenleeren Tanzfläche viel besser sehen! Ich hätte natürlich anfangen können, über Bourdieu, symbolisches Kapital, die Zeichenwelt des Clublebens oder sonstige Poptheorie zu schwadronieren, aber erstens habe ich davon – man merkt’s – keine Ahnung und zweitens hätte es sie nicht die Bohne interessiert. Das einzige Argument, das mir einfiel war: Es ist uncool. Und da dies Argument, in diesem Zusammenhang vorgebracht, in sich der Gipfel des Uncoolen ist, erledigte es sich sozusagen von selbst.

2 Comments:

Blogger Entenfeder said...

wer war jetzt der wurm? der dj?

early bird catch the worm

schönes blog, das!

14:42  
Blogger textferry said...

danke! Ich glaub der Wurm kam doch erst später - aber wer ist schon gern der Wurm...

17:42  

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